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Volker Lösch (* 1963 in Worms) ist ein deutscher Theaterregisseur, der Stücke des bürgerlichen Bildungskanons mit Beiträgen von Laienchören kontrastiert, die künstlerisch bearbeitete Erfahrungsberichte vortragen. Die Texte und Gesänge der Chöre spiegeln Probleme jeweils einer – häufig unterprivilegierten – gesellschaftlichen Gruppe wider. Die Auseinandersetzung mit sozialen Fragen und gesellschaftlichen Konflikten zählt zum Kern von Löschs ästhetischer Programmatik: „Kunst ohne Anbindung an das Draußen, an die Zeit, in der ich lebe, finde ich sinnlos.“[1]

Volker Lösch (2016)
Volker Lösch (2016)

Vom Schauspieler zum Regisseur


Lösch wuchs in Uruguays Hauptstadt Montevideo auf. Kurz vor dem Militärputsch 1973 kehrte seine Familie nach Deutschland zurück. Lösch arbeitete als Schauspieler am Nationaltheater Weimar, am Deutschen Theater Göttingen und am Theater am Neumarkt Zürich, bevor er 1995 in Zürich erstmals selbst inszenierte. Anschließend war er als Regisseur an zahlreichen Stadt- und Staatstheatern tätig. Mit einem Sprechchor, der die „außertheatrale Wirklichkeit“ unmittelbar in das Bühnengeschehen integrierte, arbeitete Lösch erstmals 2003 in seiner Inszenierung der Orestie am Staatsschauspiel Dresden. Seitdem steht in seinen Inszenierungen dem Schauspielerensemble regelmäßig ein Chor von Laiendarstellern gegenüber. Die Laienchöre, die er mit Einar Schleefs vormaligem Choristen Bernd Freytag einstudiert, besetzt Lösch meist mit Vertretern verschiedenster sozialer Schichten, wie Erwerbslosen, Unternehmern, Migranten oder verurteilten Straftätern, die biografisch grundierte Texte vortragen.

Für Aufsehen sorgte Lösch durch seine Inszenierung des naturalistischen „Kampfstücks“ Die Weber nach Gerhart Hauptmann am Staatsschauspiel Dresden im Oktober 2004. Die Produktion, die der Regisseur mit einem aus Dresdner Bürgern bestehenden Laienchor, der viele Schichten der Bevölkerung repräsentierte, umsetzte, musste er nach einer einstweiligen Verfügung des Berliner Landgerichts stark kürzen und umbenennen (Die Dresdner Weber). Die einstweilige Verfügung hatte der Bühnenverlag Felix Bloch Erben erwirkt. Auch die Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen erwog gerichtliche Schritte, da eine Textpassage eine implizite Morddrohung gegen sie enthielt. Die Theaterzeitschrift Die Deutsche Bühne kürte Löschs Inszenierung 2005 zur „Inszenierung des Jahres“.


Hausregisseur am Schauspiel Stuttgart


Seit der Spielzeit 2005/06 war Volker Lösch Hausregisseur und Mitglied der künstlerischen Leitung am Schauspiel Stuttgart (bis 2013). Dort inszenierte er 2007 Euripides' Medea mit einem Migrantinnenchor. Zu dieser Stuttgarter Inszenierung produzierte der Filmregisseur Thomas Lauterbach 2007 den Dokumentarfilm Hochburg der Sünden, der bei dem Dok-Festival Leipzig 2008 als „Bester deutscher Dokumentarfilm“ mit der Goldenen Taube ausgezeichnet wurde.

Im Oktober 2008 warf Lösch gemeinsam mit Beate Seidel am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in der umstrittenen Inszenierung Marat, was ist aus unserer Revolution geworden? frei nach Marat/Sade von Peter Weiss abermals Fragen nach sozialer Gerechtigkeit auf. Für Kontroversen sorgte die namentliche Nennung zahlreicher lokaler Vermögensmillionäre auf der Bühne. Die Inszenierung wurde zum Berliner Theatertreffen 2009 eingeladen.

An der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz zeigte Lösch im Dezember 2009 eine moderne Adaption von Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz. Lösch verband die Geschichte des aus der Haft entlassenen Kleinverbrechers Franz Biberkopf mit den Erfahrungen von heutigen Gefangenen und Haftentlassenen unter der Leitfrage, wie der einzelne in einer kriminalisierten Gesellschaft (Bankenskandale, Schmiergeld- und Parteispendenaffären) „anständig“ bleiben könne.

Löschs Inszenierung von Schillers Die Räuber am Theater Bremen vom Februar 2010 wurde durch das Online-Magazin Nachtkritik.de zu einer der zehn besten Inszenierungen deutschsprachiger Theater im Jahr 2010 gewählt. Die Inszenierung arbeitete mit einem Chor aus jungen Bremerinnen und Bremern, die sich dem radikal linken Spektrum zugehörig fühlen, und ließ diese auf die 68er-Generation ihrer Eltern und Großeltern treffen.

Nachdem Lösch bereits für die Stuttgarter Inszenierung Endstation Stammheim 2007 nach Zeugnissen aktuellen Widerstands gesucht hatte, schloss er sich 2010 dem Protest gegen das umstrittene Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 an. Im Juli 2010 regte er gemeinsam mit dem Schauspieler Walter Sittler den Stuttgarter „Schwabenstreich“ an: „Jeden Abend um 19 Uhr ertönt ein neuer Schwabenstreich: Eine Minute Krach mit allem, was laut ist, es kann auch die eigene Stimme sein.“[2] Lösch beteiligte sich mit einem Stuttgarter Bürgerchor, der Texte von Peter Weiss und Bürgerparolen skandierte, an den Stuttgarter Montagsdemonstrationen.

Am 11. Dezember 2010 hatte in der Berliner Schaubühne Löschs Arbeit Lulu – Die Nuttenrepublik Premiere. In der Produktion verband der Autor Versatzstücke aus den Wedekind-Stücken Erdgeist und Die Büchse der Pandora mit „Texten von Berliner Sexarbeiterinnen“. Im Januar 2012 inszenierte Lösch auf Einladung des Goethe-Instituts im Teatro Solís in Montevideo in einer freien Produktion die Antigona Oriental, in der er einstige politische Gefangene der uruguayischen Militärdiktatur zu Wort kommen und die Namen bekannter Folterer vortragen ließ, die später unbehelligt in der uruguayischen Gesellschaft lebten.

Löschs Inszenierung der Heimkehrertragödie Draußen vor der Tür an der Berliner Schaubühne verknüpfte Borcherts Vorlage im Januar 2013 mit Auszügen aus Abhörprotokollen deutscher Kriegsgefangener in britischer und amerikanischer Haft, die dokumentieren, dass einfache Wehrmachtsoldaten an der Ermordung der Zivilbevölkerung und der Juden beteiligt waren. Ausgewertet hatten die Protokolle der Historiker Sönke Neitzel und der Sozialpsychologe Harald Welzer (Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, 2011). Eva Behrendt bezeichnete es als „Coup, dass Volker Lösch und Stefan Schnabel das viel gespielte Nachkriegsdrama [...] mit dem konfrontieren, was deutsche Soldaten im Krieg tatsächlich getan bzw. welchen Taten sie beigewohnt haben“[3] und dass Lösch das Stück als Verdrängungsdrama neu akzentuiert habe.


Freier Regisseur


Mit einer stark bearbeiteten Fassung von Max Frischs Biedermann und die Brandstifter bescherte Lösch dem Theater Basel im Februar 2014 den „ersten nennenswerten Aufreger seit Jahren.“[4] Löschs „Chor der Feuerwehrleute“, der sich aus Studenten der Berner Hochschule der Künste zusammensetzte, rappte und skandierte „galliges Gedankengut aus der Populistenecke: Elsässer besetzen alle Supermarktkassen, deutsche Beamte die Schweizer Bundesämter! Ägypter verbauen die Alpen! Kosovaren stechen arglose Omas ab! Auf Cartoons im Hintergrund sieht das Publikum drastische Parodien auf SVP-Wahlplakate: Alpenkühe tragen Burka. Eine arabische Schlepper-Vagina kommt mit Flüchtlingsbarken über der Schweizer Landkarte nieder.“ Lösch traf dabei offenbar „ins Schwarze. Was daran zu erkennen ist, dass ein SVP-naher Lokalredakteur der ‚Basler Zeitung‘ kurz nach der Premiere drauflos bellt, Lösch missachte ‚in krasser Weise den Volkswillen‘ und zeige ‚sein wahres Gesicht, nämlich das eines Antidemokraten‘, was keinen aufrechten Schweizer wundern dürfe, Lösch sei ja Deutscher.“[5] Die Inszenierung endete damit, dass der Feuerwehrchor eine Gruppe von Ausländern mit Benzin übergoss und Zündhölzer anriss. In einer überraschenden Wende „sind es am Ende die Schweizer, die Fluchtkorridore aus ihrem zerrütteten Staat gen Norden suchen. Doch die Deutschen haben die Grenzen dicht gemacht.“[6]

Mit der Premiere des neuen Stücks Das Blaue Wunder von Thomas Freyer und Ulf Schmidt, an dem der Regisseur Lösch auch mitgeschrieben hat, kam das Staatsschauspiel Dresden am 26. Januar 2019 heraus. Die Inszenierung bietet "ein Sketch- und Typenkabarett" zwischen Groteske und Satire, bei dem die AfD in Zitaten aus Parteiprogrammen, Aufsätzen und Reden durch den Kakao gezogen wird. Die Wochenzeitung Die Zeit veröffentlichte im Vorfeld ein Dossier mit Schlaglichtern aus den Proben. Die zehn Schauspieler turnen über ein imposantes Bühnenbild von Cary Gayler, das zuvorderst aus einem echten metallenen Schiffsrumpf besteht. Um in den rasanten Rollen- und Szenenwechseln die Übersicht zu wahren, hat Ausstatterin Carola Reuther "je nach Klasse strahlend blaue Uniformen für die Kapitänsebene, Lodenjacken für die bessere Gesellschaft und Matrosenanzug für die Malocher entworfen". Im Schlussbild treten sie als Chor auf, rufen: "Mischt euch ein!".[7]

2021 inszenierte Volker Lösch das Stück „Stadt der Arbeit“ (UA: 25. September 2021) am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Den Text dazu lieferte Ulf Schmidt, mit dem er bereits vorher zusammengearbeitet hatte. 15 arbeitslose Gelsenkirchener Bürger und Bürgerinnen stehen auf der Bühne und konfrontieren das Publikum mit ihrer Realität. Der Rahmen des Stückes wird durch Ensemblemitglieder des Theaters gegeben. Der Inhalt des Stückes wurde zuvor aus Interviews mit den teilnehmenden Bürgern erarbeitet. Lösch bildet mit „Stadt der Arbeit“ eindrucksvoll die Hürden und Schwachstellen des deutschen Arbeitsmarktes ab.[8]

Im Jahr 2022 wurde sein Stück Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie zum Berliner Theatertreffen eingeladen.


Verschiedenes


Seit Jahren nimmt Volker Lösch auch immer wieder in den Tagesmedien und an anderen Orten zu fach- und allgemeinpolitischen Fragen Stellung, so in den Tageszeitungen taz[9] oder junge Welt[10]. Er ist einer der Teilnehmer des Künstlerforums der der jungen Welt eng verbundenen Kulturzeitschrift Melodie & Rhythmus im Juni 2019.[11]


Auszeichnungen



Schriften



Literatur



Filme





Einzelnachweise


  1. „Für mich ist kein Roman und kein Theaterstück heilig“ (Interview: Stefan Kirschner). In: Berliner Morgenpost, 10. Dezember 2009.
  2. Ulrike Kahle-Steinweh: Von der Lust, auf Topfdeckel zu schlagen, in: Theater heute, Nr. 11, November 2010, S. 47–51, hier S. 49.
  3. Eva Behrendt: Tod und Meisterschaft, in: Theater heute, Nr. 3, März 2013, S. 14–17, hier S. 16.
  4. Stephan Reuter: Der verkrampfte Volkswille, in: Theater heute, Nr. 4, April 2014, S. 18–21, hier S. 18.
  5. Stephan Reuter: Der verkrampfte Volkswille, in: Theater heute, Nr. 4, April 2014, S. 18–21, hier S. 18–20.
  6. Stephan Reuter: Der verkrampfte Volkswille, in: Theater heute, Nr. 4, April 2014, S. 18–21, hier S. 20, mit Zitaten aus: Aaron Agnolazza: Bühne frei für einen Brandstifter, in: Basler Zeitung, 5. März 2014.
  7. Das Blaue Wunder – In Dresden lässt Volker Lösch zusammen mit Thomas Freyer und Ulf Schmidt die AfD zu Wasser, nachtkritik.de vom 26. Januar 2019, abgerufen 28. Januar 2019
  8. Sarah Heppekausen: Stadt der Arbeit – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – Volker Lösch lässt Arbeitslose in einem Stück Wachrütteltheater zwischen Wut-Gebrüll und Musical-Attitüde ihre Biografie erzählen. Abgerufen am 29. September 2022 (deutsch).
  9. Siehe etwa: „Ich bin zur See gefahren“. Kapitalismuskritik. Sein Theater polarisiert – der Regisseur Volker Lösch im Gespräch, 16. Mai 2009.
  10. Siehe etwa: "Ziel ist, mit dem Stück in die Kieze zu gehen." Ein Theaterstück thematisiert die Ursachen des Notstands an deutschen Krankenhäusern. Ein Gespräch mit Volker Lösch.
  11. http://www.melodieundrhythmus.com/.
  12. Lessing-Preis für Regisseur Volker Lösch, focus.de, 22. Juli 2012, abgerufen am 23. Juli 2012
Personendaten
NAME Lösch, Volker
KURZBESCHREIBUNG deutscher Theaterregisseur
GEBURTSDATUM 1963
GEBURTSORT Worms, Rheinland-Pfalz



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