Ammonite ist ein romantisches Filmdrama von Francis Lee, das im September 2020 beim Toronto International Film Festival seine Premiere feierte und am 4. November 2021 in die deutschen Kinos kam. Im Film wird eine fiktive Beziehung der britischen Fossiliensammlerin Mary Anning mit Charlotte Murchison beschrieben, der Frau des schottischen Geologen Roderick Murchison.
Der Film beginnt im 19. Jahrhundert in einem Londoner Museum bei einem Ichthyosaurus-Skelett, das Mary Anning im Alter von elf Jahren gefunden hat. Während einer Umgestaltung im Museum wird die Information entfernt, dass sie die Finderin des Skeletts war. Stattdessen bekommt es eine Beschriftung, wem das Skelett gehört.
Die gefeierte, aber nicht anerkannte Fossiliensammlerin Mary arbeitet allein an der rauen Südküste Englands. Sie sucht dort nach Fossilien, die sie an Touristen verkaufen kann, um sich und ihre kranke Mutter zu ernähren, mit der sie zusammenlebt. Als der wohlhabende Kollege Roderick Murchison Mary bittet, sich um seine melancholische Frau Charlotte zu kümmern, kann sie es sich nicht leisten, seinen Wunsch abzulehnen, denn sie braucht das Geld, das er ihr bietet. Als Charlotte nach einem Bad im Meer schwer erkrankt, kümmert sich Mary um sie und pflegt sie gesund. Sie kauft unter anderem bei der deutlich älteren Elizabeth eine hausgemachte Salbe, die fiebersenkend eingesetzt wird.
Nach der Genesung führt sie Charlotte in die Geheimnisse der Fossiliensuche ein, und die schüchterne junge Frau hilft ihr bei der Arbeit. Trotz der anfänglichen Distanz zwischen den beiden Frauen und ihrer unterschiedlichen sozialen Klassen und Persönlichkeiten entwickelt sich zwischen ihnen eine zunehmend intensive Bindung.[3] Diese wird durch die Rückkehr von Charlottes Mann nach London abrupt beendet. Im weiteren Verlauf wird gezeigt, dass Marys Mutter stirbt, wobei offen bleibt, ob sie an ihrer Krankheit oder durch einen Treppensturz stirbt. Anschließend erhält sie einen Brief von Charlotte, in dem diese ihr Beileid zum Ausdruck bringt.
Im letzten Teil des Films besucht Mary Charlotte in London. Erst vor Ort erfährt sie, dass Charlotte statt eines Besuchs einen Einzug von Mary vorbereitet hat. Der Film endet im Museum bei dem Ichthyosaurus-Skelett, das Mary gefunden hat. Beide Frauen stehen sich inmitten von Männern gegenüber.
Mary Anning war eine britische Fossiliensammlerin, die als eine der ersten Paläontologinnen betrachtet wird. Der in dem an der südlichen englischen Küste gelegenen Dorf Lyme Regis in Dorset geborenen Mary Anning wird nachgesagt, schon im Alter von 15 Monaten als ungewöhnlich aufgefallen zu sein. Sie war eines von zehn Kindern, von denen nur sie und ihr Bruder Joseph das Kindesalter überlebten, und wurde nach ihrer ältesten Schwester benannt, die bereits Mary hieß und wenige Monate vor ihrer Geburt im Alter von vier Jahren starb. Marys Vater Richard war Tischler, der sein Einkommen dadurch aufbesserte, dass er an den Klippen in der Nähe von Lyme Regis Fossilien suchte, die er dann an Touristen verkaufte.
Nach seinem Tod blieb die Familie Anning ohne Ernährer zurück. Mary und ihr Bruder Joseph fingen an, in großem Stile nach Fossilien zu suchen, mit deren Verkauf sie das Familieneinkommen aufbesserten. Hierdurch hatte sie bald Verbindungen zu den Geologen und Biologen ihrer Zeit, so zu dem schottischen Geologen und Paläontologen Roderick Murchison, dem Mann von Charlotte Murchison. Roderick Murchison hatte Charlotte, die Tochter eines Generals, im August 1816 geheiratet.
Elizabeth Philpot war eine Fossiliensammlerin, mit der Mary Anning bereits seit ihrer Kindheit befreundet war. Trotz der fast 20 Jahre Altersunterschied und der Tatsache, dass Anning aus einer viel ärmeren Klasse abstammte, während Elizabeth aus dem begüterten Mittelstand kam, freundeten sie sich an.
Die titelgebenden Ammoniten sind eine ausgestorbene Teilgruppe der Kopffüßer. Mary Anning, von deren Leben der Film inspiriert ist, hatte deren Fossilien gesammelt.
Regie führte Francis Lee, der auch das Drehbuch schrieb. Der Schotte hatte mit God’s Own Country sein Filmdebüt gegeben. „Ich bin Mary Anning zum ersten Mal begegnet, als ich nach einem Fossil für meinen Freund suchte“, erzählt Lee über seiner Inspiration für Ammonite. „Ich fühlte mich sofort von dieser Frau der Arbeiterklasse angezogen, die trotz ihrer Benachteiligung in einer von Klassen geprägten, patriarchalischen Gesellschaft zu einer der führenden Autoritäten auf ihrem Gebiet aufstieg, deren Leistungen von ihren Zeitgenossen jedoch fast völlig unerkannt blieben. […] Vor allem wollte ich sicherstellen, dass ich ihr Würde und Respekt gebe, um Mary Anning zu dem Status zu erheben, den sie verdient hatte, als sie noch lebte.“[4] Lee war von dieser Zeit, in der die Gesellschaft völlig patriarchalisch war und in der Frauen vollständig im Besitz ihrer Väter oder Ehemänner waren, fasziniert. Auch habe die Ärzteschaft zu dieser Zeit geglaubt, dass Frauen keine sexuellen Lustorgane haben, und die Gesellschaft habe damals keinen Gedanken verschwendet, dass zwei Frauen in einer echten Beziehung miteinander leben könnten.[5] Lee betonte aber gleichzeitig, dass es sich bei Ammonite um keine Filmbiografie handele, sondern dass der Film nur von Annings Leben inspiriert sei.[5] An der Produktion sind See-Saw Films, das British Film Institute und BBC Films beteiligt.[6]
Kate Winslet übernahm die Hauptrolle von Mary Anning, Saoirse Ronan spielt ihren neuen Hausgast Charlotte Murchison, James McArdle deren Ehemann Roderick Murchison. Fiona Shaw übernahm die Rolle von Elizabeth Philpot. In weiteren Rollen sind Claire Rushbrook als Eleanor Butters sowie Gemma Jones und Alec Secăreanu als Molly Anning und Dr. Lieberson zu sehen, die beide in Lees God’s Own Country spielten.[4]
Lee drehte den Film größtenteils in Mary Annings Heimatstadt Lyme Regis in Dorset sowie in Surrey und London.[4] Die Dreharbeiten wurden Mitte März 2019 begonnen[7] und noch im selben Frühjahr / Anfang Mai 2019 beendet.[8] In Lyme Regis hatte das Filmteam georgianische Hausfassaden nachgestaltet.[6] Für die Ausstattung zeichnet Sarah Finlay verantwortlich. Als Kameramann fungierte Stéphane Fontaine, der für seine Arbeit für Jackie zahlreiche Nominierungen und Auszeichnungen erhielt. Mit seinem Filmeditor Chris Wyatt hatte Lee bereits für God’s Own Country zusammengearbeitet.
Die Filmmusik komponierten Dustin O’Halloran und Volker Bertelmann.[9] Das Soundtrack-Album mit insgesamt neun Musikstücken wurde am 13. November 2020 von Milan Records veröffentlicht.[10] Es handelt sich um die fünfte Zusammenarbeit von Bertelmann und O’Halloran.[11] Letzterer hatte bereits gemeinsam mit Adam Wiltzie die Musik für Lees Film God’s Own Country komponiert.[12]
Anfang Juni 2020 wurde bekannt, dass sich Ammonite in der „offiziellen Selektion“, einer Auswahl von 56 Filmen, der ursprünglich für Mai 2020 geplanten Filmfestspiele von Cannes befindet, die aufgrund der Coronavirus-Pandemie in ihrer gewohnten Form abgesagt wurden.[13] Die Premiere erfolgte schließlich am 11. September 2020 beim Toronto International Film Festival.[3] Ebenfalls Anfang September 2020 wurde er beim Festival des amerikanischen Films in Deauville gezeigt.[14] Zudem befand er sich auch in einer Auswahl von Filmen, die beim Telluride Film Festival gezeigt wurden.[15] Ende August 2020 stellte NEON den ersten Trailer vor.[16] Im Oktober 2020 wurde er als Abschlussfilm des London Film Festivals gezeigt.[17] Den Vertrieb in den USA übernahm Neon, ein Filmverleih, der dort zuvor die queeren Filme Porträt einer jungen Frau in Flammen und Beach Rats veröffentlichte.[5] Am 13. November 2020 kam er in ausgewählte US-Kinos.[18] In Deutschland sollte der Film ursprünglich am 25. Februar 2021 in die deutschen Kinos kommen. Aufgrund des anhaltenden Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie wurde der Starttermin auf den 4. November 2021 verschoben.[19]
In den USA erhielt der Film von der MPAA ein R-Rating, was einer Freigabe ab 17 Jahren entspricht.[20] In Deutschland wurde der Film von der FSK ab 12 Jahren freigegeben, kann aber von Kindern ab 6 Jahren in Begleitung eines Elternteils beziehungsweise Personensorgeberechtigten im Kino besucht werden. In der Freigabebegründung heißt es, einzelne dramatische Momente sowie erotische Szenen könnten trotz zurückhaltender Bebilderung Kinder unter 12 Jahren irritieren und überfordern.[21]
Der Film stieß bislang bei den Kritikern auf tendenziell positives Echo.[22] Ammonite bestand den Bechdel-Test.[23]
Dieter Oßwald, Filmkorrespondent der Gilde deutscher Filmkunsttheater, schreibt in seiner Filmkritik, dass der Regisseur, Frances Lee, wie in God’s Own Country „auf atmosphärisch dichte Bilder der exquisiten Art“[24] setze. Oßwald schreibt weiter: „Die raue Klippen-Landschaft am Strand der „Jurassic Coast“ wirkt wie aus einem Gemälde von William Turner.“[24] Die Figuren seien mit psychologischer Präzision plausibel gezeichnet und würden mit großer Glaubwürdigkeit gespielt. Die Chemie zwischen den Stars sei perfekt, was man bereits bei ihrer ersten Begegnung spürt, als die anfängliche Abneigung so glaubhaft wie die späteren Zärtlichkeiten gespielt werden: „Kleine Gesten genügen dem famosen Schauspiel-Duo für die überzeugende Darstellung ihrer Gefühlswelten. Winzige Details unterstreichen unaufdringlich die Wahrhaftigkeit: Man betrachte nur die zerschundenen Fingernägel der Oscar-Lady als Steinesammlerin.“[24]
Patrick Heidmann von epd Film schreibt, wie schon in seinem grandiosen Debüt God’s Own Country erzähle Lee hier mit Hilfe eindrucksvoller Aufnahmen schroffer Natur davon, wie wortkarge Einsamkeit durch die Ankunft einer fremden Person aufgebrochen wird. Doch Ammonite sei als Film noch spröder und sperriger und die von Kate Winslet einmal mehr überwältigend gespielte Protagonistin noch unzugänglicher. Von Kostümfilmen unterscheide er sich nicht zuletzt dadurch, dass hier eben nicht darauf gesetzt wird, das Publikum mit großen Gefühlen mitzureißen, so Heidmann.[25]
Emma Madden, eine Kulturjournalistin, kritisiert in einer Rezension des Films im Guardian, dass Ammonite sich vieler Muster bedient, die in Filmen mit lesbischer Thematik typisch und daher unoriginell sind. Unter anderem ist das die Darstellung von sexueller Intimität zwischen den Hauptfiguren Mary Anning und Charlotte Murchison. Madden bemängelt, dass Filme, die eine lesbische Geschichte erzählen, die Handlung der Beziehungsentwicklung nur leise hinter den Gesichtern und Blicken der Protagonistinnen zeigen, bis sich die emotionale Spannung in einer unnötig langen Sexszene entlädt, was ebenso auf Ammonite zutrifft.[26]
Der Film befindet sich in einer Vorauswahl für den Europäischen Filmpreis 2021.[27] Im Folgenden eine Auswahl weiterer Auszeichnungen und Nominierungen.
AACTA International Awards 2021
Artios Awards 2021
British Academy Film Awards 2021
British Independent Film Awards 2020
Chicago International Film Festival 2020
Europäischer Filmpreis 2021
GLAAD Media Awards 2021
Hollywood Music in Media Awards 2021
London Critics’ Circle Film Awards 2021
London Film Festival 2020
Satellite Awards 2020
Telluride Film Festival 2020