Walter Boehlich (* 16. September 1921 in Breslau; † 6. April 2006 in Hamburg) war ein deutscher Literaturkritiker, Verlagslektor, Übersetzer und Herausgeber. Seine Nichte war die Politikerin Sabine Boehlich.
Leben
Poster Autodafé
Walter Boehlich war der Sohn des schlesischen Schriftstellers Ernst Boehlich. Wegen seiner jüdischen Herkunft benachteiligten die Nationalsozialisten ihn in der Schule. In der Nachkriegszeit studierte er Philologie bei Ernst Robert Curtius, dessen Assistent er von 1947 bis 1951 war.
Boehlich war Literaturkritiker bei der Wochenzeitung Die Zeit und bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ebenfalls ab 1957 Cheflektor im Suhrkamp Verlag, den er 1968 im Streit über ein Mitbestimmungsstatut für Lektoren verließ.[1] 1965 prägte er mit einer von ihm veröffentlichten Quellensammlung den Begriff Berliner Antisemitismusstreit.[2]
Als entschieden sozialkritischer Publizist erwies er sich nicht zuletzt in der Kulturzeitschrift Kursbuch, in der er 1968 – in einem „Autodafé“ betitelten Text, der der nr.15 des Kursbuch als Poster beilag und in vielen studentischen WG-Küchen hing – die Literatur und ihre Wirkung in einem historisch-gesellschaftlichen Kontext verortete:
„Die Kritik ist tot. Welche? Die bürgerliche, die herrschende. Sie ist gestorben an sich selbst, gestorben mit der bürgerlichen Welt, zu der sie gehört, gestorben mit der bürgerlichen Literatur, die sie schulterklopfend begleitet hat, gestorben mit der bürgerlichen Ästhetik, auf die sie ihre Regeln gegründet hat, gestorben mit dem bürgerlichen Gott, der ihr seinen Segen gegeben hat …“
Von November 1979 bis Januar 2001 schrieb er eine politische Kolumne für das satirische Monatsmagazin Titanic.
Walter Boehlich war bis zu seinem Tod Mitglied der Darmstädter Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er erhielt 1990 den Johann-Heinrich-Merck-Preis, 1996 den Hessischen Kulturpreis, 1997 den Jane Scatcherd-Preis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung sowie 2001 den Heinrich-Mann-Preis und den Wilhelm-Merton-Preis für Europäische Übersetzungen.
Werke
1848. Frankfurt am Main 1973.
Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Hrsg.: Helmut Peitsch, Helen Thein. Mit einem Vorwort von Klaus Reichert. Fischer-Verlag, Frankfurt 2011, ISBN 978-3-10-046325-8.
Posthum zusammen mit Karlheinz Braun, Klaus Reichert, Peter Urban, Urs Widmer: Chronik der Lektoren. Von Suhrkamp zum Verlag der Autoren. Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 2011, 216 Seiten, ISBN 978-3-88661-345-8.
Kein Grund zur Selbstreinigung. Die Titanic-Kolumnen (Hrsg. v. Christoph Kapp und Helen Thein. Mit einem Nachwort von Stefan Gärtner). Verbrecher Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-95732-383-5
Briefe
„Ich habe meine Skepsis, meine Kenntnisse und mein Gewissen.“ Briefe 1944 bis 2000, hrsg. von Christoph Kapp und Wolfgang Schopf, Schöffling, Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-89561-614-3
Herausgeberschaft
Marcel Proust: Briefe zum Werk, Frankfurt am Main 1964
Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt am Main 1965 u.ö.
Georg Gottfried Gervinus: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1967
Der Hochverratsprozeß gegen Gervinus, Frankfurt am Main 1967
Karl Gutzkow: Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe, Frankfurt am Main 1969
Thomas Mann: Schriften zur Politik, Frankfurt am Main 1970
Hjalmar Söderberg: Doktor Glas, Reinbek bei Hamburg 1992
Sigmund Freud: Jugendbriefe an Eduard Silberstein, Frankfurt am Main 1989
David Friedrich Strauß: Soirées de Grandval, Berlin 1996
Übersetzungen
Herman Bang: Eine Geschichte vom Glück, Berlin 1993
Herman Bang: Sommerfreuden, Reinbek bei Hamburg 1993
Herman Bang: Das weiße Haus. Das graue Haus, Zürich 1958
Giambattista Basile: Das Märchen aller Märchen, Frankfurt am Main
Steen Steensen Blicher: Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Dorfküsters, Berlin 1993
Tania Blixen: Moderne Ehe und andere Betrachtungen, Frankfurt am Main 1987
Gabriel Dagan: Die Verabredung, Frankfurt am Main 1986
Régis Debray: Der chilenische Weg, Neuwied [u.a.] 1972
Marguerite Duras: Der Nachmittag des Herrn Andesmas, Frankfurt am Main 1963
Marguerite Duras: Zerstören, sagt sie, Neuwied [u.a.] 1970
Vizconde de Lascano Tegui: Von der Anmut im Schlafe, Berlin 1995
Amedeo Modigliani: Modigliani, Stuttgart 1961 (übersetzt zusammen mit Silja Wendelstadt)
Die Ostindienfahrer, Frankfurt am Main 1970
Peter Ronild: Die Körper, Frankfurt am Main 1971
Monique Saint-Hélier: Die Weisen aus dem Morgenland, Frankfurt am Main 1958
Ramón José Sender: Requiem für einen spanischen Landmann, Frankfurt am Main 1964
Ramón José Sender: Der Verschollene, Frankfurt am Main 1961
Hjalmar Söderberg: Abendstern, Frankfurt am Main 1980
Hjalmar Söderberg: Gertrud, Frankfurt am Main 1980
Lope de Vega Carpio: Die Irren von Valencia, Frankfurt am Main 1967
Vizconde de Lascano Tegui: Von der Armut im Schlafe: intimes Tagebuch. Friedenauer Presse, Berlin 1995, ISBN 3-921592-92-5.
Virginia Woolf: Mrs. Dalloway, Frankfurt am Main 1997
Literatur
Helmut Peitsch / Helen Thein: Walter Boehlich (1921–2006). „Wer nicht las, galt nicht“, in: Ines Sonder, Karin Bürger, Ursula Wallmeier (Hrsg.): „Wie würde ich ohne Bücher leben und arbeiten können?“ Privatbibliotheken jüdischer Intellektueller im 20. Jahrhundert. vbb, Verl. für Berlin-Brandenburg. Berlin. 2008, S. 83–112. ISBN 978-3-86650-069-3
Helmut Peitsch, Helen Thein-Peitsch (Hrsg.): Walter Boehlich – Kritiker. Akademie Verlag. Berlin. 2011. ISBN 978-3-05-005085-0
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