Rocker ist ein Fernsehfilm aus dem Jahr 1972 von Klaus Lemke, der auch das Drehbuch zum Film schrieb.
Der Film beginnt mit der Entlassung des Rockers Gerd aus dem Gefängnis Fuhlsbüttel. Gerd ist auf Bewährung entlassen. Vor dem Tor des Gefängnisses warten seine zahlreich erschienenen Rocker-Freunde, allesamt im Spalier auf ihren Motorrädern sitzend, um ihren in die Freiheit entlassenen Weggefährten mit herzlichen Umarmungen zu empfangen. Am Ende dieser Szene ruft ein Mitglied der Rockergang euphorisch „Bambule!“.
Gerds frühere Freundin will sich von ihm und den Rockern lösen. Sonja arbeitet als Warenhaus-Verkäuferin. Während Gerd im Fuhlsbütteler Knast saß, hat sie eine Beziehung mit dem Kleinkriminellen Uli Modschiedler angefangen. Gerd fährt mit einer älteren Mercedes-Benz-Limousine aus der Kfz-Werkstatt seines Rockerkumpels zu ihr zum „Kaufhof“, um sie zurückzuerobern; was ihm wegen seiner uncharmant tölpelhaften Art auf Anhieb nicht so recht gelingen will, so dass er auch vor verbalen und handgreiflichen Drohungen nicht zurückschreckt. Einem für den Abend ausgehandelten Treffen der beiden kommt eine Bande von strumpfmaskierten Rockerfeinden zuvor, die Gerd in der Dunkelheit niederschlagen, seine Gartenlaube in Brand stecken und ihn an einen Baum fesseln.
Uli klaut in der Tiefgarage am Hamburger Millerntor einen weißen „Daimler“ (Mercedes-Benz Cabrio), den er für 4000 Mark an einen Zuhälter zu verkaufen versucht. Auf der Probefahrt durch das Hafenviertel wirft der vermeintliche Käufer mit einem Kumpan den hinterrücks bewusstlos geschlagenen Uli aus dem Wagen, woraufhin beide mit dem geraubten Fahrzeug davonrasen. Uli überrumpelt nun seine Schwester zuhause und versucht, an Geld zu kommen. Er stiehlt ein paar Scheine aus einem Nachttisch ihres Schlafzimmers. Als er das Haus verlässt, folgt ihm sein 15-jähriger Bruder Mark, dessen Geld er an sich genommen hat. Erst versucht Uli, Mark abzuwimmeln und ihn nach Hause zurückzuschicken, doch schon bald lässt er sich auf ihn ein. Die beiden Brüder besaufen sich in einer Kneipe auf St. Pauli. Dabei führt der Tunichtgut Uli seinen jüngeren Bruder in vermeintliche Männerrituale, wie das Trinken von klarem Kornschnaps aus der Flasche und das Rauchen von Zigaretten auf Lunge, ein. Nachts entdeckt Uli den gestohlenen weißen Mercedes zufällig auf St. Pauli wieder. Uli macht das Auto auf und die beiden pennen besoffen darin ein. Der Zuhälter und sein Kumpan, die Uli den Wagen entrissen hatten, kommen aus ihrem Lokal auf die nächtliche Straße, erblicken die beiden besoffenen Pennbrüder und zerren sie aus dem Wagen, wobei Mark – festgehalten von dem Kumpan – mitansehen muss, wie der Zuhälter seinen Bruder Uli mit einem Knüppel zu Tode prügelt. Völlig apathisch rennt Mark vom Ort des Geschehens weg.
Am Morgen schläft Mark, immer noch betrunken, vor der verschlossenen Tür des Supermarktes, in dem er seine Ausbildung macht. Er wird von einer Verkäuferin geweckt und beginnt, immer noch betrunken und stark verstört durch die Ereignisse der letzten Nacht, im Supermarkt zu randalieren und die Waren aus den Regalen zu schmeißen. Die eintreffende Polizei bringt den Jungen zur Räson und dann nach Hause. Daraufhin wird Mark von seiner Schwester zu den Eltern nach Cuxhaven geschickt. An der Straßenbahnhaltestelle in der Zeppelinstraße am Hamburger Flughafen schläft er ein. Als Mark aufwacht, lernt er in der danebenliegenden Kneipe zwei Kumpel von Gerd und schließlich ihn selbst kennen. Gerd hatte sich dort mit seiner Ex-Freundin Sonja getroffen, die kurz zuvor vom Tod ihres Freundes Uli erfahren hatte. Sprachlos verlässt Sonja die Szene. Nach einem Besäufnis zusammen mit Mark und seinen beiden Kumpeln zieht Gerd am nächsten Tag den Drogendealer Frank über den Tisch, indem er den Kunden des Dealers den Koffer mit Marks Klamotten als Koffer voll „Stoff“ für 4000 Mark andreht. Von den ergatterten „4 Mille“ kauft Gerd spontan ein zum Chopper umgebautes Gebraucht-Motorrad, mit dem er seinen neuen Komplizen Mark nach Cuxhaven bringen will. Bei einem Zwischenstopp in einer Fernfahrerkneipe – dem Gasthof „Zur Linde“ in Bornberg an der B 73 – zwischen Hamburg und Cuxhaven endet die Fahrt des ungleichen Duos. Nachdem Gerd in der Kneipe einen LKW-Fahrer grundlos rüde angepöbelt hat, verlässt dieser das Lokal und überfährt das Motorrad von Gerd mit seinem Lastwagen, um anschließend in seinem LKW zu flüchten. Gerd ist außer sich vor Wut; doch man sieht auch – dem harten Rocker, der um seinen demolierten Feuerstuhl trauert, laufen Tränen die Wangen herunter. Anstatt nach Cuxhaven geht die Fahrt per Anhalter zurück nach Hamburg, obwohl der Fremde eigentlich woanders hin wollte.
Wieder in Hamburg angekommen, erkennt Mark die blonde Freundin eines der Mörder seines Bruders, folgt ihr in ein Nachtlokal an der Großen Freiheit und erzählt die ganze Sache Gerd. Der alarmiert seine Rocker-Gang, die daraufhin vor dem Etablissement Ulis Mörder stellt und verprügelt. Währenddessen zertrümmert Mark die Windschutzscheibe des vor der Kaschemme geparkten weißen „Daimlers“ mit einer Eisenstange. Als die Polizei auftaucht, verlässt er den Ort. Der Film endet mit einer Einstellung auf Marks lächelndes Gesicht, darunter wird der Filmtitel eingeblendet.
Der Film wurde von TV-Union Berlin im Auftrag des Zweiten Deutschen Fernsehens im Herbst 1971 produziert. Seine Erstausstrahlung war am 2. Februar 1972 im ZDF. Die Darsteller sind Laien und treten in ihrer Rolle in einigen Fällen unter ihrem bürgerlichen Namen auf, was für die Authentizität des Films von entscheidender Bedeutung ist. Schauplatz ist im Wesentlichen der Hamburger Kiez. Klaus Lemke verwendete dieselbe Handlung später als Grundlage für seinen Film Die Ratte von 1993.
Zu Beginn des Films sieht man ein Mitglied der Rockergang, das auf einem BMW-Chopper fährt, dessen Tank im gleichen Stars-and-Stripes-Design lackiert ist wie der des Captain-America-Harley-Choppers, der 1969 im epochalen Biker-Film Easy Rider vom Hauptdarsteller Peter Fonda pilotiert wurde. Die Mitglieder der Rockergang Bloody Devils fahren, abgesehen von einer vereinzelten Moto Guzzi V7 Special, in „Rocker“ ausnahmslos auf 500er bis 750er Zweizylinder-BMW-Boxer-Motorrädern der frühen 1950er bis Anfang der 1970er Jahre, wobei vor allem die älteren BMW-Modelle zum einen Teil zu Café Racern im Stil der englischen Rocker und zum anderen zu Choppern im Custombike-Look der US-amerikanischen Outlaw Biker nachträglich umgebaut sind.
In der Szene, in der Gerd in seinem Zimmer sitzend in einem Fotoalbum blättert und dabei den Song Jingo von Santana hört, woraufhin sich sein Vater über die Lautstärke der Musik und Gerds Herumgammelei beschwert, hängt dort an der Wand ein großes Poster von Schauspieler Marlon Brando in seiner Rolle als Outlaw-Bikergang-Leader Johnny Strabler in dem legendären Motorrad-Film Der Wilde von 1953. Womit diese Szene ostentativen Herumlungerns als Kult den stärksten Hinweis auf reminiszente Männlichkeitsgesten und -riten einer Biker-Subkultur gibt, wie sie bereits in Kenneth Angers okkultem Camp-Klassiker Scorpio Rising von 1963 comichaft ironisch überzeichnet wurden.
Die ebenso authentisch wie dramatisch beeindruckende Fernfahrerkneipen-Szene, in der ein von Gerd zuvor provozierter älterer Arbeitertyp, der selbst eine Greaser-Frisur im subkulturellen Style der Café Racer fahrenden englischen Rocker der 1950er bis -60er Jahre trägt, Gerds davor abgestellte, kultisch mit viel Chrom zum Chopper aufgedonnerte alte BMW anschließend mit einem schweren Kieslastwagen gezielt vorwärts wie rückwärts überrollt und als erbärmlichen Schrotthaufen zurücklässt, greift Rolf Wilhelm Brednich 1990 in seiner Legendensammlung Die Spinne in der Yucca-Palme als moderne Sage von der „Rache des Lastwagenfahrers“[1] auf. Das gleiche Thema findet 1977 im Film Ein ausgekochtes Schlitzohr mit Burt Reynolds Verwendung. Obwohl Dieter Hallervorden 1974 in seiner Hauptrolle in Der Springteufel ebenfalls unter Beweis gestellt hatte, derartig soziopathische Begegnungen verstörend darstellen zu können, fällt sein zusammen mit Kurt Schmidtchen als Rocker inszenierter Sketch dieser „Lastwagenfahrer“-Legende in der von 1975 bis 1980 im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Serie Nonstop Nonsens vergleichsweise nur albern aus.
Gegen Ende des Films, wenn Mark Modschiedler mit Gerd der jungen blonden Frau auf der Straße auf St. Pauli nachstellt, deren Freunde seinen Bruder totgeschlagen haben und Gerd deshalb mit seinem anrückenden Motorradclub die Täter zur Strafe zusammenschlägt, stehen Mark und Gerd neben dem berühmten Sex-Theater Salambo.
Alle Motorradfahrer fahren erlaubterweise ohne Helm, da eine allgemeine Helmpflicht für Motorradfahrer in Deutschland erst 1976 eingeführt wurde.
In Bezug auf die Authentizität der im Film Rocker gebrauchten Sprache urteilte der Regisseur Dominik Graf in dem Dokumentarfilm Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte, gedreht von Filmwissenschaftler Hans Helmut Prinzler und Filmkritiker Michael Althen, von 2008: „Das sind so Filme, die muss man beschützen, die muss man behalten, die muss man bewahren. Es könnte sein, dass die irgendwann nie mehr ausgestrahlt werden […] Mit dem Film archiviert der Klaus Lemke ja auch eine Sprache, die es nicht mehr gibt […]“.[2]
Musikalisch wird der Film mit zeitgenössischen Titeln begleitet.[3]
Der Film genießt in einigen Kreisen insbesondere in Hamburg Kultstatus. Das Hamburger 3001 Kino hat ihn deshalb regelmäßig im Programm. Ursache dafür ist die zumindest aus heutiger Sicht möglicherweise teilweise auch unfreiwillige Komik der Aussprüche der Figuren. Zudem ist der Kiez vielen bekannt, so dass eine gewisse Authentizität wahrgenommen wird. Dass die Handlung eigentlich dramatisch-tragisch ist, erhebt den Film über reine Unterhaltung. Vorführungen des Films haben dennoch in der Regel Partycharakter. Nordisch schnodderige Einzeiler wie
werden dabei vom Publikum gerne mitgesprochen.[4][5][6]
Regisseur Dominik Graf in seiner Laudatio bei der Verleihung des Filmpreises der Stadt München 2010 an Lemke:
„Sein Film ‚Rocker‘, das war für 1972 eine Zeitenwende, zunächst mal für Lemke selbst. […] Wenn man die Erstausstrahlung von Rocker im ZDF, im Februar 1972, miterlebt hat, dann wird man nicht mehr vergessen, wann und wo das war. […] Rocker war mein Einstieg in etwas, das ich nicht definieren konnte, ich hatte keine Ahnung von den westdeutschen Stadtstraßen, keine Ahnung von wüst aussehenden Menschen auf Motorrädern, vom Kiez, von einer anderen westdeutschen Welt […]. Es war Fernsehen als pure Lebenserfahrung.“
„Klaus Lemkes dritter Fernsehfilm bemüht sich um eine authentische Beschreibung des Rocker-Alltags und schrieb durch seinen rüden Jargon und die ungeschönte Beschreibung des Kiez Fernsehgeschichte. Eine nahezu entfesselte Kamera setzte neue Maßstäbe im Bereich des Fernsehfilms.“