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Angst essen Seele auf ist ein deutsches Melodram, in dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder die soziale Unterdrückung und Ausgrenzung von Gastarbeitern in der Nachkriegszeit thematisiert. Das Sozialdrama aus dem Jahr 1974 handelt von einer sechzigjährigen Witwe, die sich in einen deutlich jüngeren Gastarbeiter aus Marokko verliebt. Obwohl ihr gesamtes Umfeld, einschließlich der erwachsenen Kinder, der Nachbarn und der Kollegen, die Beziehung offen missbilligen, heiraten die beiden.

Als exemplarisches Werk des Neuen Deutschen Films erhielt der Film zahlreiche, internationale Auszeichnungen und wurde, auch nach der Jahrtausendwende, immer wieder auf internationalen Filmfestivals gezeigt.


Handlung


Die verwitwete Putzfrau Emmi Kurowski betritt eine Kneipe in München – teils, weil es regnet, teils aus Neugierde, woher die fremdartige Musik stammt. Die Kneipe ist Treffpunkt einiger arabischsprachiger Gastarbeiter. Weil er nichts Besseres zu tun hat und von der Wirtin dazu animiert wird, fordert Ali, ein etwa 20 Jahre jüngerer, gebrochen Deutsch sprechender Marokkaner, Emmi zum Tanzen auf. Sie unterhalten sich, er begleitet sie nach Hause, darf sogar bei ihr übernachten. Im weiteren Verlauf entstehen Gefühle zwischen beiden, und trotz offener Ablehnung durch Emmis Kinder, Nachbarinnen und Kolleginnen heiraten die beiden schließlich, nachdem der Sohn des Vermieters Ali als (laut Mietvertrag) unzulässigen Untermieter bemängelt hat.

Doch die Schwierigkeiten des Paars nehmen zu: Die Nachbarinnen rufen die Polizei, weil die arabische Musik sie stört, ihre Kolleginnen in der Putzkolonne schneiden Emmi, und der Lebensmittelhändler Angermayer weigert sich, zuerst Ali und dann sie selbst zu bedienen. Emmis drei Kinder sind fassungslos; ihr Sohn Bruno zertrümmert vor Wut sogar den Fernseher seiner Mutter, als sie ihm Ali vorstellt. Verzweifelt ob all der Feindseligkeit bricht Emmi bei einem Biergartenbesuch, bei dem sie mit Ali von den Kellnern nicht bedient, sondern nur angegafft wird, in Tränen aus, und beide beschließen, ihre Hochzeitsreise nachzuholen, in der Hoffnung, dass danach alles leichter wird.

Und in der Tat sieht nach der Rückkehr die Welt völlig anders aus. Das Paar wird scheinbar akzeptiert, wenn auch aus eigensüchtigen Gründen: Angermayer hatte eingesehen, dass er auf den Umsatz von Emmi als Kundin doch nicht verzichten will; Emmis Kinder brauchen sie als Babysitterin; die Nachbarinnen können einen starken und vor allem belastbaren Mann im Haus gut gebrauchen und möchten Emmis großen Kellerraum mit nutzen und die Kolleginnen finden in der jugoslawischen Gastarbeiterin ein neues Opfer, über das sie sich das Maul zerreißen können. Sie stellen darüber hinaus fest, dass Ali so gar nicht dem Klischee vom schmutzigen, faulen Ausländer entspricht, das sie (und nicht nur sie) im Kopf haben.

Doch mit der scheinbaren Akzeptanz kommen die Probleme zwischen Emmi und Ali auf: Die Atmosphäre zwischen ihnen wird frostiger. Als Emmi anfängt, Ali als nützliches Objekt zu behandeln anstatt als Menschen mit dem Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Zuwendung, geht Ali wieder häufiger in die Kneipe, in der dieser Film seinen Anfang fand, und holt sich beides von der Wirtin Barbara. Er übernachtet bei ihr und kommt irgendwann überhaupt nicht mehr nach Hause zu Emmi, bis diese ihn in der Kneipe aufsucht, wo er sie wie bei ihrer ersten Begegnung zum Tanz auffordert. Auf der Tanzfläche erklärt sie ihm, dass sie Verständnis für seine Bedürfnisse habe und ihm die Freiheit lassen möchte, auch andere Frauen zu treffen, wenn er nur zu ihr zurück käme. Gerührt räumt er ein, er würde eigentlich nur sie wollen, doch plötzlich bricht Ali unter Schmerzen zusammen und muss ins Krankenhaus gebracht werden. Dort erläutert ein Arzt Emmi, dass ein unentdecktes Magengeschwür geplatzt ist. Bei Gastarbeitern sei das häufig, sie würden nun mal unter den schlechten Lebensbedingungen und viel Stress leiden, da ihnen aber kein Kuraufenthalt gewährt wird, könne man nur operieren. Das Geschwür würde dann erfahrungsgemäß nach wenigen Monaten wieder Probleme machen. Emmi setzt sich an Alis Krankenbett und weint.


Hintergrund


Neben der romantischen Beziehungsebene, die die Liebesbeziehung der Protagonisten beschreibt, der durch zahlreiche Gespräche Tiefe verliehen wird, ist der Film auch ein Sozialdrama, in dem die Ausgrenzung der in Deutschland lebenden Gastarbeiter ebenso thematisiert wird wie ihre prekären Lebensumstände und die Abwertung, die Emmi durch ihren Job als Putzfrau erfährt. Dabei prallt das aus der Zeit des Dritten Reiches übernommene traditionelle Wertesystem auf den Wunsch der Protagonisten, sich mit der Toleranz ihres Umfeldes ihr privates Glück zu erfüllen.[2][3]

Wie schon bei seinem Film Händler der vier Jahreszeiten (1972) ließ sich Fassbinder bei Angst essen Seele auf von den Filmen Douglas Sirks inspirieren. Hier ist insbesondere dessen Film Was der Himmel erlaubt (1955) zu nennen, der das strukturelle Vorbild lieferte[2]. Angst essen Seele auf verbindet die Hollywood-Melodramatik Sirks mit der Betrachtung der deutschen Alltagsrealität. Anders als bei vielen Filmen jener Zeit verzichtete Fassbinder auf die Kameraarbeit von Michael Ballhaus. Stattdessen setzte die photographische Ästhetik von Jürgen Jürges auf eine schnörkellose, dem Gegenstand angemessene Erzählweise. Die visuelle Umsetzung sollte nicht von der eigentlichen Geschichte ablenken. Der Film gehört mit ca. 260.000 DM Budget zu den weniger aufwendigen Fassbinder-Filmen. Fassbinder selbst spielte die Rolle des unfreundlichen Schwiegersohnes von Emmi Kurowski.

Der grammatikalisch falsche Titel ist ein Zitat aus dem Film und spiegelt die begrenzten Deutschkenntnisse des Protagonisten Ali wider. Barbara John merkte an, dass es vordergründig um eine Liebesbeziehung gehe, vor allem aber „um die Bewertung von Ausländern als grundsätzlich Fremde und um die Unfähigkeit, ihnen zu vertrauen. Der Filmtitel gibt die Befindlichkeit Alis wieder, der sich unverstanden und gedemütigt fühlt.“[4]

Der Film wurde am 5. März 1974 in München uraufgeführt. Im deutschen Fernsehen wurde er erstmals am 25. Juli 1977 im ZDF gezeigt.[5][6]


Filmfestivals und Auszeichnungen


In seinem Erscheinungsjahr folgende Preise:[7]

Angst essen Seele auf wurde nicht nur kurz nach seiner Entstehung auf Filmfestivals präsentiert, sondern auch noch nach der Jahrtausendwende international gezeigt, z. B. 2004 auf dem Denver Film Festival, 2010 in Indien auf dem International Film Festival of Kerala, 2011 auf der Viennale, 2015 auf dem Tschechischen Film Festival in Zlín, 2017 auf dem Internationalen Filmfestival Shanghai und 2019 auf dem Kolkata Film Festival im indischen Kalkutta.[7]


Kritiken


Bei Rotten Tomatoes sind die 37 Kritikerbewertungen zu 100 Prozent positiv, während auch 91 Prozent der über 5.000 Zuschauerreviews den Film positiv bewerten.[8]

Der deutsche Film genießt international ein hohes Ansehen und wurde unter anderem in die Criterion Collection aufgenommen, wo er als herausragender Vertreter des Neuen Deutschen Films eingestuft wird.[9]

„Melodram, das mit kühler Brillanz die Mißachtung von Minderheiten und die Mechanismen sozialer Unterdrückung analysiert. Zugleich populär und bitter-ironisch erzählend, sucht Fassbinder ein breites Publikum, ohne persönliche Obsessionen zu verleugnen und ohne an kritischer Schärfe zu verlieren. – Sehenswert ab 16.“

Lexikon des internationalen Films[5]

„Die Konflikte in Fassbinders 21. Film ANGST ESSEN SEELE AUF klingen bereits in seinem Frühwerk Katzelmacher (1969) an. Seine brillante Analyse der Mechanismen sozialer Unterdrückung ist klar durchstrukturiert und publikumswirksam aufbereitet.“

Bundesverband Jugend und Film[10]

Wirkung


Der Film, der Filmemacher in der ganzen Welt beeinflusst hat, existiert auch in einer Theaterfassung des Autors. Die Yılmaz Arslan Filmproduktion GmbH produzierte 2003 zudem Shahbaz Noshirs Kurzfilm Angst isst Seele auf[2], der mit subjektiver Kamera die wahre Geschichte eines ausländerfeindlichen Übergriffs auf einen Darsteller der Theaterfassung auf dem Weg zum Schauspielhaus einzufangen versucht.

Ebenso wurde der Titel für die deutschsprachige Fassung einer Episode der amerikanischen Fernsehserie Die Simpsons verwendet.[11]

Der Titel hat sich außerdem im Laufe der Zeit zum geflügelten Wort entwickelt, bei dem „Angst“ oder „Seele“ durch einen themenspezifischen Ausdruck ersetzt wird.


Siehe auch



Literatur





Einzelnachweise


  1. Freigabebescheinigung für Angst essen Seele auf. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Mai 2014 (PDF; Prüf­nummer: 46 094-a K).
  2. Angst essen Seele auf. In: cinema. Abgerufen am 8. Mai 2022.
  3. Angst essen Seele auf. Drama, BRD 1974, 94 min Dresdner Kinokalender, aufgerufen am 6. Mai 2022
  4. Barbara John, Vorwort zu: Dorte Huneke (Hrg.), Ziemlich deutsch. Betrachtungen aus dem Einwanderungsland Deutschland. In: Schriftenreihe Band 1386. Bundeszentrale für politische Bildung, 2013, abgerufen am 27. April 2021. ISBN 978-3-8389-0386-6.
  5. Angst essen Seele auf. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 1. November 2021.
  6. Diese Woche im Fernsehen auf Spiegel.de, abgerufen am 8. Mai 2022
  7. FEAR EATS THE SOUL (ANGST ESSEN SEELE AUF) German Films, aufgerufen am 6. Mai 2022
  8. Ali: Fear Eats the Soul. In: Rotten Tomatoes. Fandango, abgerufen am 8. Mai 2022 (englisch).Vorlage:Rotten Tomatoes/Wartung/Wikidata-Bezeichnung vom gesetzten Namen verschiedenVorlage:Rotten Tomatoes/Wartung/„importiert aus“ fehlt
  9. Ali: Fear Eats the Soul: One Love, Two Oppressions. Autor: Chris Fujiwara The Criterion Collection, aufgerufen am 6. Mai 2022
  10. Angst essen Seele auf Bundesverband Jugend und Film, abgerufen am 6. Mai 2022.
  11. Angst essen Seele auf. In: simpsonspedia.net.

На других языках


- [de] Angst essen Seele auf

[en] Ali: Fear Eats the Soul

Ali: Fear Eats the Soul (German: Angst essen Seele auf, lit. 'Fear Eat Soul Up') is a 1974 West German film written and directed by Rainer Werner Fassbinder, starring Brigitte Mira and El Hedi ben Salem. The film won the International Federation of Film Critics award for best in-competition movie and the Prize of the Ecumenical Jury at the 1974 Cannes Film Festival.[2] It is considered to be one of Fassbinder's most powerful works and is hailed by many as a masterpiece.

[ru] Страх съедает душу

«Страх съедает душу» (нем. Angst essen Seele auf, дословно «Страх съедать душа») — кинофильм немецкого режиссёра Райнера Вернера Фасбиндера, выпущенный в 1974 году. Вольный ремейк классической мелодрамы Дугласа Сирка «Всё, что дозволено небесами» (1955)[1]. Фильм участвовал в конкурсе Каннского кинофестиваля 1974 года и получил Приз ФИПРЕССИ и Приз экуменического жюри. Оригинальное название фильма грамматически некорректно: это слова персонажа Эль Хеди бен Салема, говорящего на ломаном немецком.



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