Tár (Eigenschreibweise: TÁR) ist ein US-amerikanischer Spielfilm von Todd Field aus dem Jahr 2022. Das fiktionale Musikdrama stellt eine Dirigentin (gespielt von Cate Blanchett) in den Mittelpunkt, die als erste ihrer Zunft ein großes deutsches Orchester leitete.
Der Film wurde am 1. September 2022 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt, bei denen Blanchett als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Ein regulärer Kinostart in den USA erfolgte am 7. Oktober 2022. In Deutschland soll der Film ab 23. Februar 2023 in den Kinos zu sehen sein.
Der Film handelt von der fiktiven[1] Figur der Lydia Tár, der ersten Frau, die jemals als Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters eingeladen wurde.[2] Dabei musste sich die weltbekannte Künstlerin in einem männerdominierten Beruf bewähren. Der Film folgt Lydia Tàr in ihrem Alltag in der deutschen Hauptstadt, bis hin zur ihrer neuesten Aufnahme, Gustav Mahlers 5.Symphonie. Dabei hat die ambitionierte Frau Mühe, ihr Berufs- und Privatleben voneinander zu trennen, was zu möglichen Konsequenzen führen könnte. So deutet sich eine Beziehung mit einer Cellistin an - was auch der Gattin Társ nicht verborgen bleibt.
Tár ist der dritte Spielfilm des US-amerikanischen Regisseurs und Schauspielers Todd Field, der auch das Drehbuch verfasste. Es ist seine erste Regiearbeit seit dem Oscar-nominierten Liebesdrama Little Children (2006). In seiner 15-jährigen Schaffenspause als Filmemacher war Field mit mehreren Projekten in Verbindung gebracht worden, ohne dass sich etwas Produktives ergeben hatte. Im April 2021 wurde bekannt, dass er an Tár arbeitet und die renommierte Schauspielerin Cate Blanchett für die Titelrolle verpflichtet hat,[3] die auch als Executive Producer fungiert. Laut Field kam für ihn keine andere Künstlerin in Frage. Hätte Blanchett ihm eine Absage erteilt, sei auch der Film nie zustande gekommen.[4] Zum weiteren Schauspielensemble gehören Mark Strong, Julian Glover, Noémie Merlant und Nina Hoss.[5] Blanchett hätte sich vor allem über die Zusammenarbeit mit Hoss gefreut, die sie zu ihren absoluten Lieblingsschauspielerinnen zähle.[6] Für die Filmmusik wurde die isländische Komponistin Hildur Guðnadóttir verpflichtet.
Die Vorproduktion begann ab Juni 2021. Ab August fanden die Dreharbeiten überwiegend in Berlin statt.[7] Im September 2021 wurde in Dresden der Kulturpalast[8] als weiterer Drehort mit der Dresdner Philharmonie als Orchester genutzt. Dort diente für eine Woche der Konzertsaal als Kulisse. Dabei wurden am 18. und 19. September auch Filmaufnahmen von regulären Publikumskonzerten um Dirigent Stanislav Kochanovsky gemacht, der Gustav Mahlers 5. Sinfonie in cis-Moll aufführen ließ.[9] An dem Filmprojekt waren insgesamt 93 Musiker der Dresdner Philharmonie beteiligt.[10] Eine 120-köpfige Filmcrew von X Filme International war vor Ort und musste aufgrund der COVID-19-Pandemie ein strenges PCR-Test-Prozedere durchlaufen.[9] Field lobte später den Konzertsaal als „akustisch und optisch der beste, in dem er je gewesen sei“.[8] Weitere Aufnahmen wurden im Palais im Großen Garten durchgeführt.[8] Weitere Drehorte waren ab Oktober in Potsdam das Orangerieschloss[11] sowie in Berlin laut Boulevardmedien der Dom und ab November 2021 die Britzer Hufeisensiedlung.[12] Als Kameramann wurde der Deutsche Florian Hoffmeister verpflichtet. Für den Schnitt zeichnete die Österreicherin Monika Willi verantwortlich, die in ihrer Karriere wiederholt mit Michael Haneke zusammengearbeitet hatte.
In einem im Januar 2022 geführten Interview gab Blanchett an, beeindruckt von der Arbeit mit Field gewesen zu sein. Sie nannte sie „lebensverändernd“ und dass der Film nicht weiter entfernt von ihrer persönlichen Erfahrung sein könne. Fields Skript stelle die kreative Arbeit einer gefallenen Dirigentin in den Mittelpunkt und blicke nicht hauptsächlich auf die Konkurrenz mit männlichen Berufskollegen. Tár würde viele Themen ansprechen, darunter den Konflikt zwischen privater und öffentlicher Person, die Midlife-Crisis sowie institutioneller Rassismus und systemischen Machtmissbrauch. Mit der Frage „Was passiert, wenn Menschen in einer schöpferischen Position dem Epizentrum der Macht und Autorität nahe kommen?“ umschrieb Blanchett die Geschichte des Films.[13]
Field produzierte Tár mit seiner eigenen Filmproduktionsfirma Standard Film Company gemeinsam mit Alexandra Milchan und Scott Lambert von Emjag Productions[14] für Focus Features. Vom Deutschen Filmförderfonds wurde das Projekt mit 5,2 Mio. Euro unterstützt.[15]
Noch vor seinem Kinostart wurde Tár von amerikanischen Branchendiensten zu den möglichen Höhepunkten des Kinojahres 2022 gezählt[16] und als einer der Mitfavoriten für die Oscarverleihung 2023 gehandelt.[17] Ein Teaser wurde Ende Juli veröffentlicht.[18] Einen Monat später folgte ein weiterer, längerer Teaser.[19]
Die Premiere von Tár fand am 1. September 2022 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig statt.[20] Zwei Tage später fand die Nordamerika-Premiere auf dem Telluride Film Festival statt, wo Hauptdarstellerin Blanchett mit einem Preis und einer Hommage geehrt wurde.[21]
Ein regulärer Kinostart in den USA erfolgte am 7. Oktober 2022 im Verleih von Focus Features.[5] Am selben Tag fand auch eine Präsentation auf dem Filmfestival von New York statt.[22] Ein deutscher Kinostart ist ab 23. Februar 2023 geplant.[23]
Von den bei Rotten Tomatoes nach der Premiere aufgeführten über 130 Kritiken sind 94 Prozent positiv („fresh“) und einer Durchschnittswertung von 8,5 von 10 Punkten.[24] Auf der Website Metacritic erhielt Tár eine Bewertung von 92 Prozent, basierend auf mehr als 20 ausgewerteten englischsprachigen Kritiken. Dies entspricht einhelligem Beifall („universal acclaim“).[25] Im Kritikenspiegel der italienischen Zeitschrift Venezia News erhielt das Werk 3,3 von fünf möglichen Sternen und belegte unter allen 23 Wettbewerbsfilmen einen achten Platz, während der iranische Beitrag No Bears (4,14) das Favoritenfeld anführte.[26] Durchgehend gepriesen wurde Cate Blanchetts Leistung in der Titelrolle.[27][28][29] Wiederholt wurde die Arbeit des US-amerikanischen Regisseurs Todd Field als sehr europäisch[30][27] empfunden und in seiner kühlen Präzision in einer Reihe mit den Werken des österreichischen Filmemachers Michael Haneke eingeordnet.[31][32][33] Dies wurde unter anderem dem fragmentarischen Erzählstil und den „weit offenen“ Interpretationsräumen der Editorin Monika Willi zugerechnet.[34][32][35] Die im Film eingesetzten Verfremdungseffekte erinnerten manch Kritiker an italienische Horrorfilme.[27][36]
David Ehrlich (IndieWire) gab dem „spannenden, täuschend strengen“ Film die Schulnote „A“ (deutsches Schulsystem: 1) und nannte Tár einen der „aufregendsten neuen amerikanischen Filme seit Jahren“. Das Werk sei „genauso brillant und implosiv“ wie seine Titelfigur, die Cate Blanchett als „großartigen Ikarus des 21. Jahrhunderts“ interpretiere. Die Schauspielerin habe schon früher Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs im Kino dargestellt, aber sie habe sich „noch nie mit solch erschütternder Kraft ausgelöscht“. Diese Leistung zeige „eine nuanciertere (und vorsichtig sympathische) Interpretation der sozialen Dynamik hinter der #MeToo-Bewegung, als jeder männliche Schauspieler oder Figur bieten“ könne. Es sei Blanchett zu verdanken, dass der Film in der Lage sei, „das nutzlos veraltete Paradigma der Trennung der Kunst vom Künstler in das viszerale Porträt einer Künstlerin zu überführen, die sich von sich selbst“ trenne, so Ehrlich. Zu einer „Meisterleistung“ gerate der Film durch den Untergang der Titelheldin, was „weniger abstrakt und unerschrocken persönlicher“ gezeigt werde. Ehrlich verglich Tár mit Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, in dem Regisseur Field den Jazzpianisten Nick Nightingale gespielt hatte und mutmaßte, dass ein kommerzieller Erfolg des Films ausbleiben könnte.[27]
Peter Bradshaw (The Guardian) vergab vier von fünf Sternen, nannte den Film „fesselnd“ und pries ebenso die Darstellung Blanchetts als „kolossal“ und lobte die Kameraarbeit von Florian Hoffmeister. Mit seinen Ideen zu den Themen „Überwachung, die Rückkehr des Verdrängten und die Tyrannei und Grausamkeit in der bürgerlichen europäischen Klassik-Tradition“ erinnere Field an Michael Haneke. Einzig den Höhepunkt des Films kritisierte er als „sicherlich schockierend, wenn auch ein wenig melodramatisch und sogar absurd“.[31]
Maria Wiesner (Frankfurter Allgemeine Zeitung) verwies wie auch Ehrlich auf den Konflikt zwischen Öffentlichkeit und Privatleben, in den sich die Titelfigur im Verlauf des Films wiederfinde. Blanchett spiele eine Person, der nichts mehr bedeute als ihre Arbeit und die keine Fehler dulde, „am wenigsten von sich selbst“. Field unterstütze die Darsteller „durch kluge Kameraarbeit“. Nina Hoss sei als Ehefrau Sharon „Blanchett in Talent und Können ebenbürtig“.[28]
Laut Daniel Kothenschulte (Frankfurter Rundschau) habe der „verstörend-faszinierende Film“ das Premierenpublikum in Venedig zweieinhalb Stunden lang „elektrisiert“ und „es gespalten“ hinterlassen. Field suche „selbst die Kontroverse“, indem er als Mann die Muster des Missbrauchsskandals um den Dirigenten James Levine und andere MeToo-Fälle auf eine weibliche Karriere übertrage und ein lesbisches Paar durch zwei heterosexuelle Schauspielerinnen verkörpern lasse. Der Regisseur lasse aber schon in der ersten Szene „keinen Zweifel daran“, dass es sich um eine „Konstruktion“ handle. Kothenschulte zog einen Vergleich zu The Square, der ähnlich „auf einen elitären, scheinheiligen und von kommerziellen Interessen bestimmten Kulturbetrieb“ ziele, der Verfehlungen begünstige. Field verwende Verfremdungseffekte, die von der Atmosphäre her an die Horrorfilme Dario Argentos erinnern würde. Tár gerate damit nie in „Realismusverdacht“, was ihn „vor schematischer Ablehnung schützen“ sollte.[36]
Tobias Kniebe (Süddeutsche Zeitung) zeigte sich als einziger Kritiker enttäuscht von Tár. „All die Interviews und Meisterklassen und Konzertproben, in denen sich männliche Künstler seit jeher ungebremst als Genies ausleben dürfen, werden hier einfach eins zu eins mit einer Frau durchgespielt“, bemerkte nach Kothenschulte ebenso Kniebe. Ihn vermochte aber der Einbruch in das Irreale am Ende des Films nicht zu überzeugen. „Die harte Rationalität“ hätte es sowohl in Fields Regiearbeit als auch in den Werken von Alejandro González Iñárritu (Bardo) und Lars von Trier (Riget Exodus) schwer.[37]
Mit Tár konkurrierte Todd Field zum ersten Mal um den Goldenen Löwen, den Hauptpreis des Filmfestivals von Venedig.[38] Dort wurde Cate Blanchett mit der Coppa Volpi als beste Darstellerin ausgezeichnet (sie hatte dieselbe Auszeichnung bereits 2007 für I’m Not There erhalten). Gleichzeitig folgte eine Nominierung für den in Venedig vergebenen Queer Lion.[39]
Im Rahmen der Premiere des Films in Telluride (Colorado) wurde Cate Blanchett mit dem Silver Medallion Award geehrt. Die Auszeichnung wird verliehen, um den bedeutenden Beitrag eines Künstlers zur Welt des Kinos anzuerkennen.[40]
In the Bedroom (2001) | Little Children (2006) | Tár (2022)